Eine (sehr) kurze Geschichte der gebauten Umwelt

Entstanden als Semesterbericht im Modul Geschichte der gebauten Umwelt I.

Einleitung

Die Geschichte der gebauten Umwelt ermöglicht jenen der sie versteht durch das „Lesen“ der räumlichen Gestaltung Informationen über die Gesellschaft, ihre Werte und Normen, Neigungen, Wünsche und Träume zu erfahren. Falls – und so ist die Auffassung vieler Planer – der Mensch im Mittelpunkt der Arbeit steht, so ist es in Hinblick auf aktuelle Probleme erforderlich sich mit dieser Geschichte zu beschäftigen. Mitunter kann das zu erstaunlichen Erkenntnissen führen, wie und warum Gesellschaften entstanden, welche Prozesse sie durchliefen und was sie bis heute kulturell prägt. Die gebaute Umwelt, sei es Haus, Stadt oder Kulturlandschaft ist nicht vorgegeben – sondern von Menschenhand geplant im historischen Kontext und seitdem vielfach verändert worden. Wer diese Zusammenhänge zwischen Gesellschaft und gebauter Umwelt erkennt kann sowohl die Vielfalt der Epochen erhalten als auch durch Reflexion dieser Geschichte intelligente bauliche Lösungen für die heutige Gesellschaft entwickeln.

Die Anfänge: Mensch, Natur, Kultur

Die Megalithanlage Stonehenge (O!, CC-BY 3.0)

Der frühe Mensch war ein Nomade, die Bewegung von einem Ort zum nächsten sein Lebensinhalt, um beständig mit Nahrung versorgt zu sein. Die ersten Bebauungen, einfache Zelte aus örtlichem Material, schnell auf- und abzubauen zeugen von diesem Leben in ständiger Bewegung. Erste Karten halten diese Bewegung der Nomaden in den noch weitesgehend unberührten Naturlandschaften (wie den Wüsten, dem Regenwald, die Arktis) fest. Desweiteren zeugen Höhlenmalereien, kleinere Skulpturen (Venus von Willendorf 25.000-18.000 v. Chr.), Megalithanlagen (wie Menhire oder Stonehenge) von der Kultur der Menschen. Aus heutiger Sicht werden diese ersten Zeugnisse des Menschen mitunter als „primitiv“ bezeichnet – dies reflektiert jedoch unangemessen die Kreativität die zur Erstellung dieser Zeugnisse notwendig war, insbesondere die Bedeutung des Materials das zur Verfügung stand. Das Leben der Menschen fand in dem noch unberührten Naturraum statt und endete erst mit der Sesshaftigkeit des Menschen.

Neolithische Revolution, Sesshaftigkeit – erste Siedlungen und Städte

Mit Einsetzen der neolithischen Revolution (ab 9000. v. Chr.), die neue Formen der landwirtschaftlichen Nutzung (Ackerbau, Viehzucht, Vorratshaltung) ermöglichte, wurden die Menschen sesshaft und errichteten erste Siedlungen (bspw. Çatal Hüyük, 6000 v. Chr.) und Städte (Ur, 4000 v. Chr.). Dort leben die Menschen in fast gleichberechtigter Form zusammen, wie die Grundrisse der Häuser zeigen. Durch die weitere Ausdifferenzierung der Gesellschaft in verschiedene handwerkliche Tätigkeiten und Führungspersonen ergibt sich jedoch eine neue Form der gebauten Umwelt, die eine Hierarchie der Gesellschaft und den Wunsch nach Repräsentation der Mächtigen ausdrückt, zu erkennen im Babylon (2900 v. Chr.) mit seiner großen Stadtmauer und der Zitadelle.

Vorantike: Ägypten

Pyramiden von Gizeh (Ricardo Liberato, CC-BY-SA 2.0)

Auch die ägyptische Kultur zeigt eine starke Hierarchie der Gesellschaft, zum einen einfache Bauern die v.a. auf dem fruchtbaren Umfeld des Nils Land bewirtschaften, zum anderen höhereVerwaltungsbeamte und den Pharao selbst an der Spitze der gesellschaftlichen Ordnung. Aus heutiger Sicht möglicherweise unverständlich wie solch eine Gesellschaft so lange existieren konnte ohne das es zu größeren gewaltsamen Umbrüchen kam – sicherlich hat der weit verbreitete Glauben an ein Leben nach dem Tod, insbesondere der Totenkult der Pharaonen mit seinem Tempeln, Grabstätten und Erzählungen neben der Anwendung von Gewalt dazu beigetragen.

Antike: Griechenland und das Imperium Romanum

In der Antike bildeten sich Kulturen (hervorgehend aus minoischer sowie mykenischer Kultur) wie die der Griechen heraus, die man als frühen Ausgangspunkt der europäischen Kultur mit Werten der Demokratie bezeichnen kann. Die Stadtstruktur war zwar immer noch von den Glauben an Götter geprägt (die erhöhte Akropolis als Ort der Götter, die Polis als Ort für die Menschen), aber auch Infrastruktur kultureller Art (Amphitheater) und Orte zum Austausch / Handel (Agora, Basilika) fanden Einzug in das Stadtbild. In den Schriften des Hippodamus von Milet finden sich erste Vorstellungen des Rasterstädtebaus, mit gleichberechtigten baulichen Anlagen, den sogenannten Insulas.

Ein ähnliches Stadtbild zeigt sich auch im Imperium Romanum trotz eher antidemokratischer Prinzipien (lange Königs- und Kaiserzeit) – dazu gehörte eine weitreichende Infrastruktur, Amphitheater, Aquädukte, Thermen, ein befestigtes Straßennetz in die Provinzen, um die Bedürfnisse der Bevölkerung zu befriedigen (bekannt ist der Ausdruck „Brot und Zirkusspiele“ durch den Dichter Juvenal). In gewissen Gegensatz dazu verbreitete sich der Christliche Glauben im Imperium Romanum (v.a. auch durch Wirken Kaiser Konstantins des Ersten), mit einhergehender Aneignung des Bautypen der vormals griechischen Basilika zum religiösen Versammlungsort (bsp. Alt Sankt Peter).

Mittelalter

Mit dem Untergang des weströmischen Reiches und später auch des oströmischen Reiches durch kriegerische Aktivitäten und Völkerwanderungen begannt die Epoche des Mittelalters in Europa. Durch die steigende Bevölkerung kommt es zu vielen Stadtgründungen – die Gesellschaft selbst bleibt jedoch von hierarchischen Strukturen (Feudalismus, Ständegesellschaft) geprägt. In solch schwierigen Lebensumständen suchen Menschen die Nähe zu Gott, das Christentum als religöse Kultur setzt sich weiter durch. Die baulichen Strukturen der Zeit sind massive Burg- und Befestigungsanlagen aus Stein, aber auch Fachwerkhäuser und Marktplätze der Gesellschaft.

Auf massive Sicherheit und Beständigkeit austrahlende Kirchen-Architektur der Romanik mit ihren Rundbögen folgte die Gotik, die nun vor allem mithilfe von Spitzbögen Leichtigkeit ausdrücken soll. Die Kirchen werden höher, Fenster höher und erste Ornamente werden genutzt, um den Kirchenraum zu verzieren.

Die Neuzeit: Renaissance und Barock

Das Mittelalter wird beendet durch die Hinwendung zu einem neuen Geist, der sich auf die Antike berufend, wieder Wissenschaft in den Mittelpunkt stellt. Dadurch wird das Menschenbild – bekannt ist die Zeichnung des Menschen von Leonardi da Vinci – erweitert und idealisiert. Der „neue“ Mensch bildet sich und strebt nach Wissen. Es werden perspektivische Zeichnungen angefertigt (Albrecht Dürer, Darstellung der Perspektive, 1525) und es entstehen Vorstellungen von geometrisch ausgerichteten Idealstädten aufbauend auf antiken Vorstellungen (Die ideale Stadt nach Vitruv 1. Jh. v. Chr. / Wiederentdeckt 15. Jh. n. Chr.). Der Geist förderte die Emanzipation des Menschen in der absolutistisch und feudalistischen Gesellschaft und griff sie damit an.

Als entprechenden „Gegenspieler“ der Renaissance entwickelt sich der Barock: baulich in Kirchen, die strenge Form der Geometrie auflösen (konvexe und konkave Formen) und durch reiche Auschmückung, Verwendung von Blattgold um von der in Teilen vergessenen Herrlichkeit Gottes zu zeugen. Im Absolutismus werden klare Formen der gebauten Umwelt (Sichtachsen, Wegeführung, Größe, Boskett) genutzt um den Machtanspruch und die Stärke der Mächtigen zu verkörpern. Mit dem Zusammenbruch des Absolutismus infolge der Aufklärung, kamen durch Revolutionsarchitektur / autonome Architektur wieder Ideen und Formen der Renaissance auf, die sich in teils utopischen Arbeiten von Boullée (Kenotaph für Isaac Newton) und Ledoux (Saline in Chaux) widerspiegeln.

Das 18. und 19. Jahrhundert: Industrialisierung, Arts and Craft Movement

Durch neue Erfindungen (Dampfmaschine, Kommunikationstechnologie) und Verwendung neuer Materialien kam es zu neuen Formen der gebauten Umwelt – riesige Fabrikhallen, hohe Schornsteine, Brücken und Lagerhallen mit Eisenträgern. Trotz weitererer Differenzierung innerhalb der Gesellschaft („neureiche“ Unternehmer und Fabrikbesitzer) blieben die Lebensumstände für die Arbeiterschicht schlecht. Die Bauwerke der Industrie brachen mit den alten historischen Stadtbild und schufen neue Probleme durch Emissionen und steigenden Verkehr. Vor dem Hintergrund wurde unter Herrschaft Napoleons mit dem Haussmann-Plan Paris an die neuen Anforderungen der industrielle Stadt angepasst – breite Straßen (für den Transport von Waren und Militär) aber auch Grünflächen zur Erholung. Entwürfe zur Gartenstadt durch Ebenezer Howard in der Zeit reflektieren wie Stadt zunehmend in der Industrialisierung ihre Lebensqualität verlor und zu einem Raum wurde der sich allen voran an der Industrie im Gegensatz zur Natur ausrichtete.

Ebenso war Arts and Crafts Movement eine Gegenentwicklung zur industriellen Architektur in dem sie wieder die Handwerkskunst und Ästhetik in den Mittelpunkt der gebauten Umwelt stellte, ähnlich wie es auch Rushkin in „Seven Lamps of Architecture“ (1849) formulierte. Bedeutende Vertreter waren der Künstler William Morris und der Architekt Phillip Webb.

Die Moderne: Neuer Geist

Aus dem Arts und Craft Movement entstanden „moderne“ Kunst- und Bauformen die in ihren Ländern jeweils eigene Bezeichnungen tragen. Gemeinsam ist ihnen die Verwendung von schmückenden Elementen der Pflanzenwelt (Flora) sowie die Abkehr von Symmetrien, viel eher setzte man geschwungene Linien ein. Ebenso findet sich die Vorstellung der Chicago School der „form follows function“ in diesen neuen Bauformen – die Bauten ordnen sich der Funktion unter. Im Jahr 1907 gründete sich der deutsche Werkbund, ein Zusammenschluss aus Künstlern, Architekten und Unternehmern, die neue ethisch fundierte Qualität erreichen wollten, die aber ebenso Schlicht und Zweckmäßig ist – auf der Werkbundausstellung 1914 in Köln wurden u.a. eine Musterfabrik von Walter Gropius, dem Begründer des Bauhaus, ausgestellt.

In der Kunst entwickelten sich sehr experimentelle Formen wie Fauvismus, Kubismus, Surrealismus oder auch Expressionismus (durch bekannte Künstler wie Matisse, Picasso, Rousseau, Klee) die sich stark voneinander unterschieden. Darin drückt sich der Wunsch der kreativen Menschen aus etwas Neues in Kunst und Bau zu schaffen, das sich nur unwesentlich an vergangenen Epochen orientiert – die Entwicklung eines neuen zeitgemäßen Stils.

Dazu gehörten dann auch Stadtentwürfe wie die Une Cité Industrielle (Entwurf 1901, veröffentlicht 1917) von Tony Garnier oder der Plan Voisin für Paris (1925), die eine Trennung der vier Funktionen der Stadt (Wohnen, Arbeiten, Erholung, Verkehr) propagierten, wie sie später auch in der Charta von Athen 1933 auf dem Congrès International d’Architecture Moderne (CIAM) festgehalten wurde. Diese „moderne“ Stadtvorstellungen erforderten die Ausrichtung auf das Automobil und den Abriss historischer Stadtviertel weswegen sie kontrovers diskutiert, und selten in der Reinform umgesetzt wurden. Gleichzeitig hatte Le Corbusier die Vorstellung des freien Grundrisses, der sich nicht mehr an den Außenwänden orientieren muss (freie Fassadengestaltung), Pfosten und Säulen können das Gebäude tragen. Ebenfalls neu war die Vorstellung von Dachgärten.

Diesen sehr dichten Entwürfen der Stadt steht das Konzept der Broadacre City von Frank Lloyd Wright (1931-1935) entgegen – eine nicht urbane, dezentralisierte Landschaft in dem jede Familie ihr eigenes Stück Land zugewiesen bekommt und in Freiheit lebt. In diesem Konzept spiegelt sich auch die liberalen Gesellschaftsvorstellungen der US-Amerikaner wieder, deren Ziel der Erhalt der individuellen Freiheit ist. Freiheit des Individuum bedeutet dann baulich das sich die Form nach den Bedürfnissen des Menschen richtet – der Raum erfüllt damit nicht nur funktionale Aspekte sondern auch psycho-soziale Aspekte. Mit dieser Vorstellung zählt Wright zu den Vertreten der Organischen Architektur.

Schlusswort

On Water von Ayşe Erkmen bei den Skulptur Projekten 2017 am Münsteraner Hafen

Die Geschichte der gebauten Umwelt zeigt die Entwicklung der Kultur, die Zusammenhänge zwischen Kultur, Kunst, Gesellschaft und dem Materiellen, unserer gebauten Umwelt. In der heutigen Welt, mit seinem unterschiedlichsten Kulturen, regt es zum Nachdenken an und kann in seiner Vielfalt kaum umfassend genug dargestellt werden – so wie ich viele Themen in diesen Bericht platzbedingt kürzen musste. Mit jedem Detail kann man mehr erfahren und auch verstehen. Es heißt oft „Geschichte wiederholt sich“ – eben deswegen sollte man sie kennen. Nicht immer muss man radikal neue Entwürfe präsentieren (wie Le Corbusier), sondern seine Arbeit vielmehr nach nachvollziehbaren ethischen Kriterien ausrichten. „Less Aesthetics, more Ethics“ hieß es in der Einführungsveranstaltung – nun schließt sich das nicht aus – aber man sollte nachdenken welche ethischen Grundlagen, gesellschaftliche Werte man sich selber und seinen Entwürfen zugrunde legt.