Erinnert sich noch jemand an den Kommunal-Wahlkampf? Münsters Grüne mussten für Ihren Vorschlag einer „autofreien“ Altstadt viel Kritik einstecken. Man dürfe einzelne Verkehrsteilnehmer nicht „radikal ausgrenzen“, hieß es von Seiten der CDU. Selbst die SPD mahnte – trotz des genannten Zeitpunkts 2025 – erstmal dazu Lösungen zu entwickeln und „nicht einfach nur (zu) zusperren“. Das waren natürlich Wahlkampfzeiten mit Zuspitzungen – jetzt wo Grüne, SPD und Volt ein Ratsbündnis gebildet haben dürfte der Ton freundlicher geworden sein. Ein guter Zeitpunkt also sich die „autofreie“ Altstadt als Idee näher anzuschauen.
Um vielleicht das erste Missverständnis auszuräumen – „autofrei“ bedeutet überhaupt nicht das es gar keine Autos innerhalb in der Altstadt mehr gibt. Auch die Grünen wollen weitgehende Ausnahmen – selbstverständlich für Feuerwehr und Polizei, aber auch für Anwohner, Lieferverkehr, Handwerker und mobilitätseingeschränkte Personen. Der eigene Stellplatz bleibt weiterhin erlaubt. Die öffentlichen Parkhäuser sollen zu Quartiersgaragen umgenutzt werden. Man möchte an den Einfallstraßen Mobilitätsstationen einrichten, wo Menschen umsteigen können. All das „schrittweise“ mit Konzept bis 2025 – nicht von heute auf morgen. Dies hat man auch im Koalitionsvertrag (Kap. II) so festgehalten.
Klingt nur noch halb so schlimm, oder? Vielleicht sollte man aber noch erwähnen, dass die Idee wirklich gut ist. Aus mehreren Gründen:
Die Altstadt von Münster wurde – wie viele andere europäische Städte – nicht für das Auto gebaut, sondern hat sich mit den neuen Verkehrsmitteln und Anforderungen entwickelt. Das einzige „Verkehrsmittel“ waren für längste Zeit die eigenen Füße, später dann auch Pferdekarren, mit der Industrialisierung kam die Eisenbahn und Dampfschiffe. Im Verkehrsplan der Stadt von 1925 existiert keine Infrastruktur für privat genutzte Autos, keine Schnellstraßen, keine Parkplätze – sondern Grünflächen und wichtige Gebäude zur Orientierung sowie das Liniennetz der später entfernten Straßenbahn. Selbst die sogenannte Autobuslinie vom Hauptbahnhof zur Grevener Straße war einfach nur ein Bus. Das „auto“ bedeutete nur das man nicht von Pferd und Schiene abhängig war – gewissermaßen fuhr das Fahrzeug also von „selbst“. Ein eigenes Auto konnten normale Menschen sich nicht leisten und die Aneignung des Straßenraumes durch die schnellen Gefährte wurde kritisch betrachtet.
So richtig in Gang kam die Motorisierung weiter Teile der deutschen Bevölkerung erst nach dem zweiten Weltkrieg in den 50ern mit der Erschwinglichkeit der Autos und der gebauten Infrastruktur. Im Jahr 1955 kamen auf 1000 Münsteraner weniger als 40 Autos, 1970 schon über 200. Heute sind es mehr als 500 (gerne auch als Zweit- und Drittwagen). Nicht nur das die PKW-Dichte zunnahm, die einzelnen Autos selber wurden breiter und länger. Im Gegensatz dazu besteht die Gliederung der Altstadt mit seinen Straßen(-breiten) im Groben seit etwa 150 Jahren – die Umnutzung von Flächen zu Parkplätzen wie am Domplatz und einigen Straßendurchbrüchen wie am Bült abgesehen. Es ist eben diese Gliederung und die wiederaufgebaute kleinteilige Einzelhandelsstruktur die die Altstadt von anderen Städten abhebt. Kassel beispielsweise überplante die Altstadt autogerecht und machte aus seinem Marktplatz 1957 – nicht ohne gewissen Stolz – „die modernste Verkehrskreuzung Europas“. Auch der auf der anderen Seite der Fulda gelegende Holzmarkt verschwand unter einer Einfallstraße.
Die Südseite des heutigen Altmarktes, vor 1914
(© Die Bau- und Kunstdenkmäler im Regierungsbezirk Cassel. Band VI: Kreis Cassel-Stadt, bearbeitet von A. Holtmeyer, Atlas, Erster)Die „modernste Verkehrskreuzung Europas“, 1957 (Foto Stadtmuseum Kassel) Eine veraltete Verkehrskreuzung, 2020
Für die neuen Verkehrsmengen an privaten Autos wurde eine mehr als 30 Meter breite neue Straße durch die teils zerstörte Innenstadt gelegt.
Münster hingegen verzichtete zu großen Teilen auf einen modernen autogerechten Wiederaufbau und rekonstruierte die zerstörte Altstadt.
Mit der zunehmenden Verbreitung des Autos wurde zwar auch die Infrastruktur in Form von breiteren Einfallstraßen und innerstädtischen Parkflächen ausgebaut, aber in der Altstadt selber bestand der Konflikt möglichst viele neue Einwohner mit zentralen Dienstleistungen zu versorgen und den möglichen Verkehrsmengen bei einer autozentrierten Verkehrsentwicklung fort. So entschied man sich dazu nahezu alle Fußgängerzonen, wie sie heute bestehen, für privaten Autoverkehr zu sperren. Auch die Verkehrsinseln am Prinzipalmarkt verschwanden wieder. Pläne zum achtspurigen Ausbau der Ausfallstraßen und vierzehnspurigen Neutor blieben in der Schublade. Aus ehemaligen Parkplätzen wurde u.a. Flächen für den Aegidiimarkt (1979), die Stadtbücherei (1993) und Einzelhandel in der Stubengasse (2007-2010). Oder – Anwohnerparkplätze. Auf gewisse Weise hat man bereits begonnen Teile der Altstadt „autofrei“ zu machen – auch damals nicht ohne Diskussionen.
Was für die autofreie Innenstadt an Aufgabenfeldern ansteht
Die Altstadt ist bereits heute zu großen Teilen ein Netz aus Fußgängerzonen, (eigentlich) nur für Lieferverkehr geöffneten Straßen und Anwohnerstraßen. Die gesamte Altstadt ist auch bereits eine sogenannte „Umweltzone“, d.h. mit grüner Plakette oder wenn man unter eine der Ausnahmen fällt kann man noch reinfahren. Es ergeben sich dennoch einige Aufgabenfelder die zu bearbeiten wären:
- die Veringerung / Verlagerung der Parkplatzflächen und Umgestaltung der Anwohnerstraßen
- die Umnutzung der sieben, teils privaten Parkhäuser und Parkplätze, dabei besonders spannend die städtebauliche Entwicklung des Hörster Parkplatzes
- aufgrund der Verkehrsbelastung am Bült wird dieser perspektivisch nicht mehr für private Autos durchfahrbahr sein dürfen
All das geht natürlich nicht von heute auf morgen ohne Konzept. Aber eine Veränderung der Verkehrsorganisation gehört zu einer wachsenden Stadt wie Münster sie ist aus pragmatischen Gründen dazu. Es wollen und sollen sich mehr Menschen in der Altstadt aufhalten können – das geht am einfachsten weitgehend „autofrei“. Die umgestalteten Infrastrukturen der 60er und 70er hat man bereits vergessen oder will Sie nicht zurück. Man kann das durchaus als Zeichen werten – für eine grundsätzlich gute Idee.